Das Volk Gottes entstand nicht aus sich heraus. Es wurde dazu auch nicht bloß
berufen oder erwählt, sondern eingesetzt. Denn der Bund mit Gott ist nur jene Gemeinschaft, welche aus Gott selbst stammt. Eine solche Bündnisgemeinschaft kann durch kein
Menschenwerk entstehen, sondern nur durch ein Werk Gottes. Deshalb betrachten wir das Volk Gottes stets im Glauben und im Geheimnis des göttlichen Seins.
Für uns Christen, die Angehörigen des Neuen Bundes, ist dieses Verständnis im
Sakrament enthalten, in der Heiligen Taufe, in welcher die Gemeinschaft der Ausgerufenen entsteht, die Kirche Gottes. Ihr gehören nicht nur die sichtbar zu unserer Lebenszeit
wahrnehmbaren Christen an. Alle, die vor uns gelebt, sind mit uns die Kirche, wie auch all jene, die noch in die Taufwasser getaucht werden, durch das Sterben Christi in sein
neues und ewiges Leben der Auferstehung. Daher ist das neue Bundesvolk Gottes ein ewiges Geschlecht, Jesus von Nazaret nachgestaltet – als das Geschlecht der Gottessöhne
– wie der Apostel schreibt (Kol. 3, 3-4): „Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Wenn Christus, unser Leben, offenbar
wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit.“
Bereits das Volk des Alten Bundes will als das ewige Gottesvolk verstanden werden,
als ein ewiges Israel. Nicht erst seit Abraham, Isaak und Jakob, den bekannten Urvätern der Hebräer, sondern bereits seit der paradiesischen Entstehung des Volkes Gottes, lebte
das erwählte Geschlecht stets von den göttlichen Verheißungen – sie waren die Grundlage sowohl für ihren Glauben als auch für ihren Gottesdienst. Der Bundesschluss
Abrahams leitete die Entstehung des Gottesvolkes an, bis hin zum Bundesopfer bei der Befreiung aus der Sklavenschaft Ägyptens in der Wüste. Die äußere Gestalt empfing das alte
Bündnis allerdings erst durch die Stiftung eines sichtbaren Heiligtums und durch die Einsetzung seiner Priesterschaft. Es ging dabei nicht nur um das besondere Priestertum
Aarons und seiner Söhne! Das ganze Volk soll als ein Reich der Priesterschaft verstanden werden: „Jetzt aber, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet
ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein. Mir gehört die ganze Erde, ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk
gehören.“ (Ex. 18, 5-6)
Das Attribut der Ewigkeit erlangte oder erlangt das Volk Gottes keineswegs durch
Bibelspruch oder Zeugnis, auch nicht durch Recht und Gesetz, sondern nur durch das eine – durch die Liebe. So schrieb Mose (Dtn. 30, 20) in seinen letzten
Anweisungen: „Liebe den HErrn, deinen Gott, hör auf seine Stimme, und halte dich an ihm fest; denn er ist dein Leben.“ Die Liebe Gottes zu seinem Volk als
einem besonderen Eigentum und die Gottesliebe seines Volkes sind zusammen ein Bund des Lebens! In diesem Alten Bund nahm der erwählte Mensch in der nationalen Gestalt der
Hebräer an Gott und dem göttlichen Leben teil. Diese Vereinigung machte die Israeliten zu einem ewigen Gottesvolk und zu einer heiligen Nation. Weil Gott der Heilige ist, sind
sie in allem, was sie darstellen oder besitzen, heilig. Ja, Aaron und seinen Söhnen gleich, sind sie dem HErrn heilig als die Priester seines göttlichen Willens.
In dem verheißenen Messias jedoch änderte sich der Inbegriff der Heiligkeit. Der
Neue Bund entstand eben auf umgekehrter Grundlage. Nicht der Mensch nimmt teil an der Gottheit, sondern Gott ließ sich herab, um an der Menschheit teil zu nehmen. Das Opfer des
Neuen Bundes (Hebr. 9, 16ff) ist nunmehr vom Abbild losgelöst und offenbart den Priester eines wahren, himmlischen Heiligtums. Auch wenn dieser Tempel noch vor den Augen
verborgen und so geheimnisvoll ist, sind wir doch als Leib Christi wahrnehmbar, nämlich als die Priester des Höchsten. Christus ist unser Leben, sowohl seiner Gottheit wie der
Menschheit nach, damit auch wir, die in ihm Untergetauchten, dem himmlischen Vater ebenso heilig sind, wie Jesus, der Hohenpriester unseres Glaubens. Dadurch wird das Alte Bündnis
nicht aufgehoben, sondern vervollkommnet. Denn die Hebräer nahmen an der Gottheit teil, um Gott, dem Heiligen heilig zu sein, wir hingegen sind im Blut Christi würdig geworden, dass
Gott, unser Vater, an unserer Menschheit teil nimmt – zum Heil all seiner Kinder, zum Heil des ganzen Menschengeschlechts. So werden beide Bündnisse geeint, wie es der
Prophet verkündet: „Ich schließe mit ihnen einen ewigen Bund.“ (Jes. 61, 8c)
Wenn Gott unser Leben ist, werden wir auch seiner Gottheit nachgestaltet. Das
Reich, welches noch kommt, und auch da ist, erfahren wir kraft der göttlichen und menschlichen Einheit im Leib Christi, so dass wir uns gegenseitig nicht beherrschen, sondern
einander dienen. Wir sind das königliche Geschlecht – einander gegenüber gleichgestellt –, um Gott, der sich als Vater in Christo erkennen ließ, im Nächsten zu erkennen. Da sich
Gott in die Menschlichkeit herabließ, ist uns seine Vaterschaft anvertraut, um das künftige Geschlecht hervorzubringen. Das Werk Gottes ist uns anvertraut, nämlich die
Sakramente zu verwalten, um die Heiligkeit des Heiligen zu verkünden.
Ebenso werden wir in die Gestalt des vollkommen Menschen neugestaltet. Unser
Bündnis mit Jesus von Nazaret befähigt uns, die Gottessohnschaft zu erfahren, um als solche, als die Söhne Gottes offenbar zu werden. Diese Offenbarung geschieht auch jetzt,
wenn wir in der Einheit mit dem Heiland handeln. So sind wir die Verkündiger seines Reiches und die Boten des kommenden. Dazu beten wir für alle, treten für jeden Menschen ein,
ob im Gottesdienst oder im Nächstendienst. Geweiht in die Nachfolge Jesu Christi nehmen wir teil an seiner Menschheit, wenn wir als Erstlinge seines Lebens in seinem heiligen
Leib, in der heiligen Kirche Gottes die Stelle annehmen, die uns zugewiesen wird – nicht nach eigener Vorstellung, sondern durch die Umstände, in welchen wir den
göttlichen Willen erfahren. Unsere Begegnung mit Gott zeigt uns immer wieder, wo und wie wir dem Lamm unserer Erlösung nachfolgen, damit wir seinen Namen offenkundig machen, den
Namen Christi – durch das Christ sein, hier und heute.
Der Glaube des Bundes, an Gott und an Jesum Christum zu
glauben, ist eine Geistesgabe. Dieses Charisma lässt uns sowohl die Verheißung als auch die Erfüllung derselben erfahren, damit wir nicht nur im Nächsten, sondern in und an uns
selbst, in eigener Person, den Heiligen Geist erfahren. Da der Geist des Vaters und des Sohnes nur der eine ist, der Geist der Gottheit, erleben wir als das Volk Gottes die
Einheit, sowohl jene, welche die Gottheit eint, als auch die andere, welche uns zu einem Volk und zu einer Kirche eint, nach der Gestalt der Dreieinigkeit – im Priestertum
unseres Seins.
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