Nicht nur die Zeitzeugen Jesu von Nazaret haben ihn geschaut, sei es an der Krippe
von Bethlehem, sei es im Tempel von Jerusalem, oder bei seiner Verkündigung der Frohbotschaft an vielen Orten Palästinas. Auch vor seiner Ankunft in der Wirklichkeit einer
sichtbaren Welt schauten und sahen ihn manche auf verschiedene Weisen. Die häufigste Art, von welcher uns die Schrift Zeugnis gibt, ist die Erscheinung und Wahrnehmung der
Engel.
Von Anfang an betrachteten die Glaubenden die Gotteswelt mit ihren eigenen Augen
und sahen dabei auch die von Gott gebildeten Geister der Himmel, die Kreaturen oder Geschöpfe des Himmelreichs. Dieselben erschienen nicht bloß als körperlose Lichter, formlos
oder nicht identifizierbar! Sie besaßen ein menschliches Angesicht. Manche setzten sich auch körperlich mit den Erwählten auseinander, wie mit Jakob, dem Vater des Volkes
Israel.
Die Propheten unseres Glaubens nahmen die Engelwelt noch genauerer wahr. Sie sahen
und bezeugten verschiedene himmlische Heere, sowohl am Thron Gottes, als auch im Tempel des Himmels. Daher kennen wir dem Namen nach Engel und Erzengel, Mächtige und Gewaltige,
Throngeister und weitere Gotteszeugen. Vor allem waren die prophetischen Seher von den Engeln am Gottesthron, den Cherubim und Seraphim beeindruckt. So ist nach ihrem Zeugnis
die Eigenart der Cherubim ihre 4-Gesichtigkeit in der Gestalt des Menschen, des Löwen, des Adlers und des wiederkäuenden Rindes.
In der kirchlichen Betrachtung stellen alle diese himmlischen Wesen Jesus Christus
dar. Mit dem Menschenantlitz verkündigen sie die Fleischwerdung des Sohnes Gottes, welcher am Gottesthron zweifach erscheint, sowohl über dem Thron der Herrschaft des Höchsten,
als auch als Träger der Thronstätte, um dieselbe zu uns zu bringen – Gott nämlich – in unsere Mitte. Die beiden Ordnungen der Cherubim und Seraphim zeigen mit dem
Menschenantlitz an, dass der Emanuel, der Geborene in Bethlehem, Gott und Mensch ist, der Vater der Herrlichkeit und der Bringer des Friedens und des Heils des
Höchsten.
Mit dem Löwenantlitz verkündigen die Cherubinen das Reich der Himmel, und Christus
als den kommenden König, der zu uns kommt, um die Herrschaft des Thrones Gottes auch in das Weltliche zu bringen, in die Wirklichkeit des ganzen Alls. Der Löwe von Juda bringt
wieder das Reich nach Israel, die Herrschaft der Gerechtigkeit.
Mit dem Adlerantlitz kündigen die Cherubim den vollkommenen Propheten an, den
Letzten (eschaton), der jede Prophetie erfüllt und vollendet. Kein Prophet vor Christus vermochte es, die Erkenntnis Gottes zu vermitteln und Gott als Gabe des Lebens zu
schenken. Das Brot des Himmels können wir kosten, nicht wie das Manna der Sterblichkeit, sondern als die Eucharistie der Unsterblichkeit. Alle Sakramente sind solche
prophetische Mittel, durch welche das Himmelreich bereits jetzt vergegenwärtigt wird, unsere Erhebung dorthin nämlich, wo jetzt gerade unser HErr ist, noch verborgen und doch
wahrnehmbar und gegenwärtig.
Mit dem Antlitz des Rindes wird die Opfergabe unseres Heils himmlisch verkündigt,
nämlich das einmalige Kreuzesopfer Christi. Es ist die Gabe der Befriedung des ganzen Alls und das Friedensopfer für das Volk Gottes, auch für seine Priester und Herrscher, wie
es Mose im Levitengesetz aufdeckt. Dabei geht es nicht bloß um die Kriege der Menschen und um die Unruhe der Kreatur, die sich in der ganzen Schöpfung untereinander bekämpft.
Der Erlöser gibt sich zum Schlachtopfer hin, zur Überlebensspeisung, um Frieden zwischen Gott und allen Geschöpfen zu stiften und um das Erdantlitz endgültig zu erneuern, zur
Neuschöpfung eines ewigen und erfüllten Lebens.
Aus dieser Auslegung der Erscheinung der Engel entstand auch das kirchliche
Verständnis des Evangeliums. Alle Worte und Werke Jesu sind die Erfüllung von allem, was uns Gott geben möchte. Zugleich sind sie die Kunde unserer Betrachtungen, Predigten und
aller Gottesdienste. So stellt der übliche Schmuck unserer Evangeliare nur den einen Christus dar, wie die Cherubim in ihrer Einheit betrachtet werden, und die vier Evangelien
sind lediglich ein vierfaches und doch einiges Evangelium des Sohnes Gottes.
In unserem geistlichen Gemeinschaftsleben wird diese Schau weiter vertieft. Mit
Christus verbinden uns seine heiligen Ämter, die Dienerinnen und die Diener der Kirche. Wir nehmen sie nicht nach ihren Gesichtern wahr, auch nicht nach ihrer Gestalt in den
Gewändern, sondern kraft ihrer Zeugnisse und Werke aus dem Heiligen Geist. Die Apostel oder Presbyter, die Propheten, die Evangelisten und die Hirten bringen uns in ihrer
Einheit des vierfachen Amtes den Cherubinen gleich den Gottesthron näher, die Herrlichkeit unseres geliebten Herrschers und Gottes. In den guten Werken eines Guten und Heiligen,
den wir immerwährend preisen, werden wir selbst zu Zeugen der göttlichen Herrlichkeit, aus welcher die Gnade greifbar wird, die Charismen unseres Glaubens. Nicht nur die
Altarpriester, sondern wir alle können es kosten und am eigenen Leib, Seele und Geist erleben, wie wir verwandelt werden in das Antlitz unseres Erlösers. Wir werden in unserem
Glauben nicht gleichgeschaltet als eine Einheit, sondern durch die Vielfalt zu dem Einen, dem Gesalbten unseres Lebens.
Und so nehmen wir mit dem vierfachen Amt auch am Gebet
desselben teil und bringen Gott die Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksagungen dar, das wahrhaft erhörbare Gebet, damit wir alle, die wir Jesum lieben, zur neuen Gestalt
gelangen, zur Gestalt des Sohnes Gottes, um Christus in seiner vollendeten Gestalt darzustellen. Als die Boten oder Engel seines Reiches verstehen wir uns, und die Nähe des
Throns unserer Anbetung überzeugt uns, dass das Geistliche und vom Heiligen Geist gewirkte auch eine Wirklichkeit wird, die Wirklichkeit unsrer Ewigkeit.
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