Bis vor etwa 40 Jahren kannte man in der westlichen Christenheit die liturgischen
Bitten kaum. Heute sind die morgenländischen Gottesdienste von vielen verschiedenen Bitten dermaßen durchwoben, dass die Liturgie ohne dieselben leer und befremdend wirken
würde. Folglich ist das Vorsprechen der Bitten, welche fälschlicherweise als Fürbitten bezeichnet werden, eigentlich zu einem Gebetsgut der ganzen Kirche Jesu geworden.
Dieselben werden von fast allen christlichen Gemeinschaften vorgetragen, in Ost und West, in Hochkirchen und selbst in Freikirchen, katholisch, orthodox und protestantisch...
Das Ungewohnte daran ist, dass die Bitten selbst bei evangelischen Gemeinschaften im voraus formuliert und beim Vortrag vorgelesen werden.
Ursprünglich wurden sogenannte Namenstafeln vorgelesen, die Tafeln der Kranken und
der Bedürftigen, der Ämter und der Katechumenen, der Lebenden und der Entschlafenen, und auch jener, die sich der Fürsprache der Gemeinschaft anempfohlen hatten. Die Übertragung
dieser „Tafelbitten“ in den heutigen Gottesdienst begleitete auch das Verständnis der Fürsprache – für einander einzutreten. Allerdings waren die
„Tafelbitten“ keineswegs nur vor sich hingesprochene kurze Bittgebete. Sie wurden stets mit dem Vortragen der eucharistischen Gaben verbunden, damit diejenigen,
derer gedacht wurde, mit der eucharistischen HErrengestalt geeint werden. Deshalb bezeichnete man ursprünglich diesen Brauch als „Engeldienst“, denn zuvor sang man
gehaltvoll und leise: „Die wir Cherubim und Seraphim darstellen...“ Das Darbringen der Opfergaben und der Bitten galt als die eucharistische Dimension des
Handelns und Betens – die Vereinigung des Leibes Christi mit seinem Haupt. Anderseits sind diese Fürbitten ein Abbild dessen, was ursprünglich als Fürbitten bezeichnet war
– ein Ausdruck der Einheit des himmlischen Hohepriester Jesus und seiner Anhänger und Gläubigen. Dem HErrn anzuhängen bedeutete stets die Nachfolge – Ihn und sein Werk
nachzuahmen.
„Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und
in Geburtswehen liegt.“ – schreibt Paulus (Röm. 8, 22) und fasst den Sinn einer Fürbitte kurz zusammen. Von diesem Verständnis ausgehend meinen viele
Mitbeter, dass ihre Bitten dann als Fürbitten verstanden werden, wenn sie die Nöte und das Ungemach beim Namen nennen. Ist es nun wirklich eine echte Fürbitte, wenn wir die
Anliegen anderer mit unserem eigenen und persönlichen Verständnis ausformulieren und vortragen? Vor allem ist das Verständnis solcher Bitten fragwürdig, denn wir sehen zwar die
Auswirkungen der Nöte und der Bedürfnisse, nicht aber ihre Quellen. Es ist eher eine Mutmaßung und weniger das Wissen um die Anliegen, welche vorgetragen werden. Damit wir uns
verstehen – beten darf man um alles und für andere einzustehen ist ehrbar und gut. Allerdings sind solche Bitten keine Fürbitten. Deshalb setzt Paulus (Röm. 8, 26)
fort: „So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit
Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können.“ Nur Gott, der alle Herzen kennt, weiß allein, was die Bedürftigen brauchen.
Alle Seufzer fasst unser HErr Christus in seiner Hand zusammen,
und mit dem Unterpfand seiner Verdienste tritt er am Thron Gottes für uns ein. Wenn wir also den Dienst der Fürbitte ausrichten, schließen wir uns so dem Erlöser an, wie er sich
den Bedürftigen anschließt, und wir tragen die Fürsprache nur so vor, wie die unaussprechlichen Nöte und Bedürfnisse zum Herzen Jesu gelangen. Anstatt im Unwissen zu beten,
bitten wir Gott, unseren Vater, die Fürbitte unseres Heilands zu erhören, und unser zusammen mit allen, die er in seiner Güte kennt und bekennt, gnädig und barmherzig zu
gedenken. Was wir wissen, das bekennen wir, und in einem vernünftigen Dienst vereinen wir uns mit Ihm, der uns mit jenen, derer wir gedachten trägt und in die Vollendung bringt.
Die Worte, welche wir bei der Entzündung des Weihrauchs aussprechen, sind der Bibel und den ältesten Gottesdiensten entnommen, manche stammen aus dem 2. christlichen
Jahrhundert und sind das unschätzbare Gut unseres Glaubens und Lebens. Die Fürsprache im Heiligen Geist ist für uns weniger ein Ausdruck der Vollkommenheit, sondern vielmehr
unserer Vollendung. Diese Fürbitten darzubringen ist dem Glaubensbekenntnis gleich zu setzen – Jesus Christus ist der HErr der Kirche und aller Menschen, zum Wohlergehen
aller und zum ewigen leben. Er, unser HErr, sei gepriesen immerdar!
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