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Sakramentsverständnis des hl. Amtes

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Freilich darf man die Frage stellen – warum sagen wir, der Hintergrund unseres Glaubens sei anglikanisch, und nicht ökumenisch, oder orthodox, oder orientalisch, oder lutherisch, oder reformiert, oder römischkatholisch, oder sonstwie? Das hängt zunächst mit der Lehre über die Kirche (Ekklesiologie) und mit der Glaubensausübung (Praxis) zusammen. Während die christliche Reformation den konfessionellen Glaubensbegriff der Kirchenlehre formte, betrachtete man seit alters die Kirche als das Ursakrament.

Die Kirchenlehre der Anglikaner geht bewusst die via media (den mittleren Weg oder Mittelweg), welche keinen Bruch mit der ekklesiologischen Tradition darstellt. Sie betrachten die Abtrennungen der Kirche Christi als kirchliche Abteilungen, die sich im Glauben und Leben „überdecken“ – so ist der Anglikanismus (Anglicanism) jene Überlappung der Katholiken und der Protestanten, in welcher beide durch das Amtscharisma des Heiligen Geistes zu einer Gemeinschaft gebildet werden. Somit gibt es keine Summa aller kirchlichen Abteilungen, und, da dieselben in recht vielen Glaubensaussagen (Trinitätslehre, Christologie u.v.m.) und den Auslegungen der Heiligen Schrift (Bibel) ineinander greifen, können die Kirchenspaltungen in gewisser Einheit betrachten werden. Die Summa aller Getauften ist jedoch etwas anderes. Sie wird von vielen Mitchristen als die Kirche Gottes verstanden und als die Kirche Jesu Christi geglaubt.

Diese Kirchenlehre geht davon aus, dass die Worte des Evangeliums und die Verheißungen Christi wahr seien – dass der Tag der Vollendung der Haushaltung des Glaubens (der göttlichen Haushaltung oder Ökonomie, gleichgestellt dem Begriff vom göttlichen Ratschluss) sich konkret ereignen wird, mit der leiblichen Auferstehung und Verwandlung (in Kleidern der Unsterblichkeit). Auch wird davon ausgegangen, dass das Gebet Jesu Gott wohlgefällig sei (Joh. 17), welches der HErr vor seiner Kreuzeserhöhung gesprochen hat, und welches in Erfüllung gehen soll, dass wir dort seien, wo er ist.

Die wahre Kirche sehen wir im Eschaton, in der Vollendung allen Glaubens und Hoffens, wo die Getauften den unerschaffenen Thronsaal Gottes des Dreieinigen betreten sollen, außerhalb von Zeit und Raum. Dies ist die verherrlichte Kirche (ecclesia triumphans), welche durch die letzten Dinge auch heute dort ist, nämlich in der Gegenwart des Höchsten. Und durch das Glaubenszeugnis, welches zur Vollendung führt, subsistiert sie in der kämpfenden Kirche (ecclesia militans) auf dem Erdantlitz, wie auch die Hypostase der Einheit von den zwei Naturen Christi (der göttlichen und menschlichen Physis) in der einigen irdischen Erscheinung (Christophania) verstanden wird. Zwar ist diese hypostatische Ekklesiologie weder der kirchlichen Tradition fremd, noch der Grundlage aller Bekenntnisse entzogen – sie wurde sogar in der römisch-katholischen Kirche beim II. Vatikanischen Konzil bestätigt –, so wird sie von den konservativen und fundamentalistischen Kreisen (sowohl bei den Römischkatholischen, als auch bei vielen anderen) schwer angegriffen, und doch im „mittleren Weg“ der hoch- und niederkirchlichen anglikanischen Einheit zu einem sakramentalen ökumenischen Muster verwirklicht.

Wir sind niemals angehalten worden, den Glauben oder die Hoffnung der Kirche neu zu formulieren, genauso wenig sind wir vom Geist Gottes angeleitet, die kirchlichen Regeln zu brechen. Da sowohl das lateinische als auch das orientalische Kirchenrecht die Sakramente konfessionell anbindet – ähnlich dem Verständnis der Reformatoren und auch der christlichen Orthodoxie – ist unser Glaubenshintergrund nachempfindbar. Somit glauben wir, dass die vollendete Kirche Jesu an verschiedenen Orten in Erscheinung tritt, auch in verschiedenen christlichen Bekenntnissen – ihnen allen dienen wir in der Hingabe der Selbstentäußerung (kenosis – vgl. Phil. 2, 7).

Zum bisher beschriebenen sakramentalen Verständnis der Ekklesiologie, reiht sich folgerichtig das Verständnis des heiligen Amtes ein. Denn die Kenose unseres HErrn Jesus Christus gestaltet auch unseren Charakter – nicht einer Laienbewegung, sondern einer Amtsgemeinschaft mit dem HErrn Christus. Während die protestantischen Reformatoren das Taufpriestertum als Amtsgrundlage verstehen und vertreten, ist für uns die Amtsgnade eine besondere Gnadengabe des Heiligen Geistes. Diese charismatische Institution nennt man seit Alters den „Geist des Priestertums“. Diesen göttlichen Geist des Priestertums kann man auf zweifache Weise erlangen, auf die Weise Moses oder auf die Weise Aarons – unmittelbar oder mittelbar. Beide Weisen der Amtsgnade haben sakramentalen Charakter – sie sind sichtbare Zeichen der unsichtbaren (spirituellen oder inneren) Gnade. Nicht nur die hl. Sakramente der Taufe und der Eucharistie (vgl. Sakramentenlehe v. Richard Hooker), auch die übrigen sakramentalen Handlungen werden ebenso vertreten und als heilsnotwendig ausgelegt.

Die sakramentale Amtsgnade ist seit der liturgischen Erneuerung in einigen anglikanischen Kirchenprovinzen, wie in der römisch-katholischen Kirche seit dem II. Vatikanum verständlicher geworden. Dort wurde nämlich das sog. Weihegebet für die bischöfliche Ordination den Kanones des Hippolyt entnommen. Dem Weihegebet in einer Amtseinsetzung wird eine zentrale Bedeutung beigemessen, da eine Amtseinsetzung nicht durch ein Vollmachtsspruch zustande kommt – jedes heilige Amt und jede Amtsgnade ist eine Frucht des Gebets und eine Gebetserhörung (Mt. 9, 38).

Zum theologischen Verständnis des erwähnten Weihegebetes gehören wesentlich die Kanones, welchen die Gebetsweise entnommen wurde. Jene Kanones kennen die Erlangung des Geistes des Priestertums auf die zweifache, bereits angesprochene Weise. Wo der Geist des Priestertums erlangt worden ist, so ordnen die Kanones an, dort sollen die Worte über die Mitteilung der Gabe des Heiligen Geistes im Ordinationsgebet ausgelassen werden. Martin Luther legte es so aus, dass das Taufpriestertum durch das Ordinationsgebet die gesetzliche Dimension erlange, und die Ordinierten das Priestertum kirchenrechtlich in der Öffentlichkeit durch den rituellen Vorstand und als ein wahrnehmbares Amt vertreten. Wir verstehen sie als die vor Gott Ordinierten. Diesem Verständnis steht die anglikanische Gemeinschaft der Katholiken und der Protestanten gegenüber, welche in der Geistesgabe des heiligen Amtes als Amtsgnade aus Gott zustande kommt.

In unserem Amtsverständnis ist dem bisherigen lediglich hinzuzufügen, wie das unmittelbare Priestertum nachvollzogen wird. Im hippolytischen 6. Kanon werden die Getauften, welche für den christlichen Glauben zum uneingeschränkten Zeugnis bereit waren, in nachfolgender Weise behandelt: „Wenn jemand für würdig befunden wird, des Glaubens wegen vor Gericht zu stehen und um Christi willen bestraft zu werden, dann aber aus Nachsicht frei gelassen wird, so verdient ein solcher den Grad des Priestertums vor Gott, nicht gemäß der Ordination, welche vom Bischof geschieht: sein Bekenntnis ist auch seine Ordination. Wird er aber zum Bischof erwählt, so muss er geweiht werden. Wird jemand nach abgelegtem Bekenntnis ohne Folter und unverletzt entlassen, so ist er des Priestertums würdig, muss aber vom Bischof ordiniert werden. Wenn ein solcher (Bekenner), da er jemandes Sklave war, um Christi willen Marter erduldet hat, so ist er ebenfalls bei der Herde als Priester anzusehen; denn hat er auch die formelle Weihe des Priestertums nicht empfangen, so hat er doch den Geist des Priestertums bekommen. Der Bischof möge daher bei der Ordination desselben das Gebet nicht hersagen, welches sich auf die Erlangung des hl. Geistes bezieht.“

Das apostolische Amt – nach unserem Verständnis und wie dies in den katholisch-apostolischen Gemeinden bereits bezeugt wurde – besteht gerade auf dem gesetzlichen Inhalt des 6. Kanons durch das Verständnis der Kenose und der Erfüllung der Anweisung Jesu – „Die Könige herrschen über ihre Völker, und die Mächtigen lassen sich Wohltäter nennen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch soll werden wie der Kleinste, und der Führende soll werden wie der Dienende“.
  (Lk. 22, 25-26)

 

 

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