Es ist nicht schwierig, Wahrheit zu bekennen – ebenso, sich dazu zu äußern.
Wir neigen gerne dazu, die Inhalte der göttlichen Offenbarung, welche wir erlebt haben, als Glaubensgeheimnis zu verkündigen. Unser Unvermögen im Umgang mit diesem Geheimnis
zeigt sich darin, daß wir uns selbst zum Maßstab der Erkenntnis machen – „Was ich erkannt habe, können auch die anderen erkennen, und was ich nicht erkannt habe, bleibt
anderen verschlossen“. Solcher Umgang mit dem Geheimnis des Glaubens verkennt die Heiligkeit des Geheimnisvollen. Denn, wenn ich etwas nicht erkannt habe, bedeutet dies
nicht zugleich, daß es anderen verschlossen sei. Die sieben Siegel des versiegelten Buches bezeugen, daß die Geheimnisse vor einer bestimmten Frist im göttlichen Ratschluß
unerkannt bleiben. Zur gegebenen Fülle der Zeit werden sie gebrochen und das bisher Versiegelte kundgetan.
Der Glaube der Gläubigen gründet sich nicht im Zeugnis der Zeugen. Ein solcher Vorgang bezeugt lediglich die
Wahrhaftigkeit einer Aussage in einem Gerichtsprozess, ferner die Wirksamkeit eines wissenschaftlichen Experiments, und in einer Aussage die Zuverlässigkeit des Inhalts. Einem
Zeugnis schenken wir Vertrauen. Doch zu vertrauen bedeutet nicht gleichzeitig zu glauben.
Die Geheimniserfahrung ist ebenso keineswegs eine kluge oder weise Rede, deren Wortlaut uns bewogen hätte, zu
glauben. Sie ist vielmehr ein Vorgang wie wenn die „Schuppen von den Augen“ fallen und das Unbekannte erblickt wird.
Das Geheimnis des Glaubens ist auch keine verborgene Weisheit, da es sich nach einem Wort des HErrn im
„kindlichen Geist“ erfassen läßt. Es ist auch nicht einfach ein Aufschluß der göttlichen Absicht. Denn die Gabe der Amtsgnade läßt uns im Glauben wachsen, statt
Muttermilch feste Speise begehren. So gleicht ein geistbegabter Mensch einem Propheten, der aus dem Geheimnis des Glaubens hervorgegangen ist.
Das Geheimnis des Glaubens, welches überzeugt, ist Jesus Christus. Das Christusmysterium verkündeten die Menschen
nicht. Zwar kündigten dessen Offenbarung die Propheten und Gotteszeugen des alten Bundes an – ihre Ankündigung gleicht einem Zeugnis für den HErrn. Sie sprachen vor der
Zeit der Offenbarung aus der Erfahrung Gottes in ihren Tagen und diese Martyria begründete die messianische Erwartung. Das Geheimnis verkündete Gott selbst und unmittelbar, als
Er Jesus nannte – „mein geliebter Sohn“.
Gerade im Augenblick der Verkündigung dieses Geheimnisses läßt sich erfahren, wie wenig die Gottessohnschaft Jesu
erkennbar war. Derjenige, der diese himmlische Botschaft bezeugte, ließ aus dem Gefängnis nachfragen – bist Du es? (Mt. 11, 2-6) Die Antwort Jesu war
– Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen
wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
Das Geheimnis des Glaubens begegnete uns auch in dem Ereignis der Verklärung Christi – vor den 3 Apostelsäulen wurde Jesus
ins Licht gehüllt und vom Vater bezeugt. Und doch vermochte der erste der 3 Zeugen es nicht, vor dem Hahnenschrei zur Geheimnisoffenbarung zu stehen, und verleugnete den HErrn
dreimal.
Das Geheimnis zu vernehmen ist folglich das eine, das andere – es zur Glaubensgrundlage anzunehmen. Dies
geschieht nicht im Verstand, sondern „im Herzen“. Denn in dieser geistigen Stätte unseres Wesens geht der Morgenstern auf, der uns seiner Sohnschaft fähig macht,
durch Ihn, Abba – Vater zu sagen. So wird das Geheimnis des Glaubens auch durch uns öffentlich verkündigt, bleibt aber so lange ein Geheimnis, bis der Morgenstern im
Herzen aufgegangen ist. Aus dieser Erfahrung glauben wir: – Der bezeugten Gottheit nach hat Jesus Christus keine Mutter, da Er vor aller Zeit vom Vater gezeugt wurde;
der Menschheit nach hat Jesus Christus keinen Vater, da Er durch den Heiligen Geist mütterlich von einer Jungfrau empfangen wurde.
Dieses Geheimnis des Glaubens betrachten wir im Bild jener 2 Fische, welche bei der
Brotvermehrung der HErr der Menschenmenge zu essen gab. Dieselben, die Ihn sofort zum König machen wollten, kehrten Ihm den Rücken, als Er das Geheimnis ansprach, daß Er das
Leben ist, das ewige Leben.
In unserer Betrachtung steht somit das Glaubensgeheimnis unseres HErrn in zweifacher göttlicher Wirklichkeit
– einerseits mutterlos und anderseits vaterlos, wahrer Gott – und doch auch wahrer Mensch. Seiner Menschheit nach wurde Er dem Gesetz unterworfen, als Knechtsgestalt
verband Er sich mit dem Sklavenkind der Unfreien. Der Gottheit nach zieht Er uns in die Verheißung empor und macht uns zu Kindern der Freien. Somit stehen die 2 biblischen
Bündnisse so in einer göttlichen Gemeinschaft, wie das Glaubensgeheimnis behandelt wurde – in der Verwerfung und in der Annahme. Die Verwerfung geht den Weg der Reue, die
Annahme den Weg der Erfüllung dessen, was in der Verheißung beide eint: – Gott in seinem Sohn, der wahre Gott und der wahre Mensch, eins mit Gott im Geheimnis der Einheit
und Gott nah im Geheimnis der Gemeinschaft. Beides ist somit göttlich, bezeugt den „Emanuel“, Gott mit uns, und hat seinen Grund in dem einen erhabenen und ruhmvollen
Namen – Jesus Christus.
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