Dann wird es mit dem Reich der Himmel sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre
Lampen nahmen und hinausgingen, dem Bräutigam entgegen. Fünf aber von ihnen waren töricht und fünf klug. Denn die Törichten nahmen ihre Lampen und nahmen kein Öl mit sich; die
Klugen aber nahmen Öl in ihren Gefässen samt ihren Lampen. (Mt. 25,1ff)
Bei diesem Gleichnis wird sich der Hörer in der Regel fragen: Wer sind diese
Jungfrauen? Die Epistola apostolorum - eine apokryphe neutestamentliche Schrift - deutet sie als zweimal fünf Gaben, nämlich Glaube, Hoffnung und Liebe etc. Eine ganz andere
Deutung wäre indessen, dass es hier um verschiedene christliche Gemeinschaften geht.
Für beide Deutungen kann man Argumente anbringen. In der Offenbarung des Johannes
werden die versiegelten Nachfolger des Lammes als jungfräulich bezeichnet. Könnte es auch um Einzelpersonen gehen? Wie auch immer: Schlussendlich geht es irgendwie um eine
Trennung von töricht und klug. Die Frage, welche mich lange beschäftigte, war jedoch eine andere und sie heisst: Was kennzeichnet eine kluge Jungfrau? Was bedeutet dieses
‘Öl in Gefässen’ mitzuführen? Denn ohne dieses zusätzliche Öl, so geht das Gleichnis dann weiter, verpasst die Jungfrau das Kommen des Bräutigams.
Die Lampen deute ich als das Licht des überlieferten Glaubens, der in unsere Hände
gegeben ist. Im Lichte des Glaubens haben sich Viele gesonnt, Viele haben für denselben geeifert. Aber heute muss man sich fragen: Wo ist dieser Glaube geblieben? Seit dem
zweiten Weltkrieg verlieren beide, Klerus und Volk, rasant das Interesse an Fragen des Glaubens und des Kultes. Noch überraschender mag uns das fast völlige Verschwinden der
jakobitischen und nestorianischen Kirchen Asiens erscheinen, wenn man sich einmal näher damit befasst. Dort ist schon fast vollendet, was uns im Westen noch droht (vgl.
‘Das goldene Zeitalter des Christentums’ von P. Jenkins).
Es ist im 19. Jahrhundert ein Weckruf durch die westliche Christenheit gegangen:
Der Herr kommt. Ein prophetischer Ruf, begleitet mit Zeichen, mit der Erweckung von Geistesgaben, mit der Wiederherstellung vergessener kirchlichen Ämter. Auch von jener
Bewegung gilt: Was ist übrig geblieben?
Schlussendlich müssen auch wir uns selbst fragen: Was gibt der Glaube noch her? Wie
viele Jahre vermögen wir noch das brennend zu halten, was unserer kleinen Gemeinschaft gegeben wurde?
Ein Lied in unserem Hymnologium enthält einen Hinweis, der mich angesprochen hat.
Dort heisst es in Bezug auf die Jungfrauen:
Macht eure Lampen fertig und füllet sie mit Öl, und seid des Heils gewärtig,
bereitet Leib und Seel! (Lied 135, wie soll ich dich empfangen, 2. Strophe)
Tatsächlich umfasst der praktizierte Glaube zwei Bereiche: Einen gemeinschaftlichen
Glauben einerseits und ein persönliches Leben im Leibe anderseits. Der gemeinschaftliche Glaube ist das, worüber die Tradition viel Richtiges hergibt: Die Lehre über den
dreieinigen Gott, die Sakramentenlehre, die geistlichen Dienste. Die katholisch-apostolische Tradition, auf welche wir uns abstützen, sah gerade in diesem Bereich die
Notwendigkeit einer Vertiefung und Wiederherstellung.
Jedoch der andere Bereich blieb in der Kirche immer ein Stiefkind. ‘Bereitet
Leib und Seel!’ Konkretes haben die Väter unserer Gemeinschaft hierüber kaum gelehrt, sondern nur die üblichen Denkweisen übernommen. Die kirchliche Tradition gibt
insgesamt hierüber nicht viel her, das uns selig machen würde. Bereits die Kirchenväter (Augustinus, Hieronymus, Origenes) bekunden Mühe mit ihrer eigenen Leiblichkeit und
Triebseele, so dass sie sich in ihren Texten mit der Frage abquälten: Sind wir wirklich begnadet? Ich rede bewusst von abquälen, denn sie scheinen die Antwort nicht gekannt zu
haben.
Nun, Leib und Seele bereiten, wie macht man das? In den Briefen der Apostel Petrus
und Paulus finden sich zwar Hinweise, sie setzen an manchen Orten Belehrungen über jenen Bereich des Lebens voraus. Aber diese Lehren wurden in der christlichen Sukzession nie
systematisch entwickelt, wahrscheinlich sogar von Anfang an nicht verstanden (vgl. die Klage des Petrus in 2Petr. 3,15-16). So gesehen ist die ganze Sukzession eine halbe
Sache. Und halbe Sachen, so die jüdische Auffassung, haben keinen Bestand, an ihnen haftet kein Segen.
Ich glaube nicht, dass man die aktuelle Entwicklung mit blossen Erklärungen
überwinden kann. Aber wir müssen versuchen, wenigstens jene Steine auf die Seite zu räumen, die dem Verstand im Wege stehen. Wir müssten für diese Sache beispielsweise etwas
lernen über die Seelenstufen und die vier Thronwesen. Wir kennen den Thronaltar, wissen ein wenig über die vier Priesterklassen, ihre Charismen und die vier Arten des
Weihrauchs, welche sie vor dem Thron Gottes darbringen.
Aber da fehlt noch etwas. Die Thronwesen (Löwe, Stier, Mensch, Adler)
symbolisieren vier Arten, der Leiblichkeit etwas Göttliches abzugewinnen. Über alle diese Wege gibt es Irrtümliches, die tief in uns stecken. Nehmen wir den Weg des Menschen und
den des Stierwesens (Lammes): Weder die Vereinigung von Mann und Frau, noch die Sublimation erotischer Energie wird in der Kirche richtig gelehrt. Die Gläubigen wissen
nicht, worauf es ankommt, und sie erwarten diesbezüglich auch schon gar nichts mehr von der Kirche. Vom Weg des Adlers und des Löwen habe ich jetzt noch gar nichts gesagt, das
ist für uns Christen komplettes Neuland.
Auch über die Gottheit müssen wir noch lernen. In der Kirche wurde viel gestritten
darüber, wie die Dreieinigkeit zu verstehen ist. In der jüdischen Schriftauslegung nimmt diese Sache, soweit ich sie kennen gelernt habe, nur einen kleinen Raum ein.
Der fromme Jude kennt viele Gottesnamen, Elohim (Gott), den oberen Bauherrn
und den unteren Baumeister, den Herrn der Heerscharen und die Schechina, den Verborgenen und den Alten an Tagen und etliche weitere. Er kennt einen Gott, der eine Dualität des
Lichtes, und einen, der Licht und Finsternis ist, Vater und Mutter. Die Erscheinungen Gottes könnten tatsächlich zur Annahme führen, dass Gott nicht Einer ist. Eine Streitigkeit
hierüber ist angedeutet in 2. Mos. 17, 7, wo jemand die Frage aufwarf ‘ist der HERR in unserer Mitte oder NICHTS?’ ‘Nichts’ ist hier
eine Bezeichnung für den verborgenen Gott.
Deshalb sagt der Prophet explizit: Höre Israel, der HERR, dein Gott, ist EINER!
(5. Mos. 6, 4). Sämtliche Gebote, der öffentliche und private Gottesdienst, waren und sind darauf ausgerichtet, den Namen des Herrn zu einen. Es ist die Aufgabe des
Menschen schlechthin, den Namen Gottes zu einen.
Um den Namen Gottes einen zu können, muss man erst einmal zulassen, dass das
Göttliche vielgestaltig auf uns zukommt. Und das ‘Vielgestaltige’ findet seinen Ausdruck auch im Begriff dieser zehn Jungfrauen: Jesus nimmt in diesem
Gleichnis meines Erachtens (wie das auch in anderen seiner Worte der Fall ist) Bezug auf etwas, das im Judentum bekannt war. Dieses Gleichnis erinnert an die alte
Erzählung vom Abstieg und Wiederaufstieg der höheren Seelenstufe, von den Gottestöchtern, die zu den Menschen kommen, zu törichten und zu klugen. Jesus erweitert diese alte
Vorstellung in mehrfacher Hinsicht, und wir wären (auch ohne eine Epistola apostolorum) wohl angehalten, diese Sache mit der neutestamentlichen Geistwirklichkeit zu
verbinden. Und somit könnte jede Deutung eine Berechtigung haben: Die Jungfrauen als Gemeinschaften, als Geistesgaben und als Töchter Gottes.
Unser Problem ist, dass wir oft nicht verstehen, was der Geist konkret von uns
verlangt. Der törichte Mensch macht immer wieder kaputt, was uns der Geist Neues schenken möchte. Wir pressen alles Neue in die uns bekannten Definitionen, wir wollen es
kontrollieren, ‘erledigen’ anstatt es als eine selige Aufgabe anzunehmen. Es ist wie ein Fluch, der uns verfolgt.
Die Kirche hat das Vielgestaltige, das sich auch in der Dreieinigkeit zeigt, als
ein Problem behandelt und theologisch ein für allemal ‘erledigt’. Der fromme Jude handelt da anders. Der akzeptiert das Gegensätzliche, das sich offenbart,
und bringt es betend und betrachtend zur Einheit. Immer wieder. Es ist die wesentliche tägliche Aufgabe, den Namen des Herrn zu einen. Wir tun das auch, in unseren Sakramenten-
und Anbetungsdiensten, aber es ist uns nicht bewusst.
Auch die Leiblichkeit und die Bedürfnisse der Seelen zeigen sich vielgestaltig.
Vier grundsätzliche Wege zu einem unschuldigen und heiligen Leben, vier Wege der Liebe, werden durch die vier Thronwesen vorgezeichnet. Aber es muss nicht bei diesen Vieren
blieben: Zu jenen Wesen wurde gesagt: Seid fruchtbar und mehret euch! Was man auf eine gesetzliche Art lernt, aufgrund einiger weniger Prinzipien, nämlich die Heiligkeit und
Reinheit in dieser Sache, soll fähig werden, irgendwann in jeder Lebenssituation zur Herrschaft zu gelangen.
Es ist eine gute Sache, in den göttlichen Ordnungen Schutz und
eine Bildung des Geistes zu suchen. Aber es wäre fatal zu meinen, dass dies die ganze Aufgabe des Menschen sei, bei Gott ständig nur Zuflucht und Hilfe für den Alltag zu suchen,
und regelmässig aufzutanken - um dann irgendwie dahinzuleben, ohne die Leib-Seelische Komponente als eine Tür zum Himmel zu erfahren. Der katholische Glaube und das göttliche
Recht sind kein Selbstzweck. Sie sollten etwas sein, das uns den Rücken stärkt für das, was immer noch auf uns wartet.
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