Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das
Himmelreich! (Mt. 5, 3)
Mit neun Seligpreisungen begann unser Herr Jesus einst seine berühmte Bergpredigt,
und die allererste dieser Preisungen geht an die Menschen, welche armen Geistes sind.
Und schon stehen wir und die Übersetzer vor einem Rätsel. Was bedeuten diese Worte?
Der Schlüssel zu diesem Wort liegt in einem Begriff, welcher den jüdischen Zuhörern Jesu damals bekannt war oder zumindest hätte bekannt sein sollen. Matthäus in seiner
Evangelienerzählung nimmt deutlich mehr Bezug zum jüdischen Denken als beispielsweise der Evangelist Lukas. Dieser nämlich hält jene Worte Jesu fest, die in ähnlicher Weise
nicht auf dem Berge, sondern in einer Ebene (auf einem Felde) gesprochen wurden, und dort heisst es: Selig ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes.
Es ist uns bekannt, dass Jesus unter den Armen und Randständigen mehr Zuhörer hatte
als unter den Gebildeten. Der Reiche braucht keinen Helfer und der Gesunde braucht keinen Arzt. Trotzdem möchten wir doch gerne etwas genauer wissen, was es mit der Armut im
Geiste auf sich hat.
Zu einem besseren Verständnis dieser Seligpreisung verhilft uns ein Begriff aus der
hebräischen Anthropologie, der Begriff des ‘fetten Geistes’. Der Mensch hat genau dann einen fetten Geist, wenn er in seinem Planen und Tun nicht mehr offen
ist für das Handeln Gottes; also, wenn er sagt: Heute werde ich dieses tun, morgen jenes, und für übermorgen habe ich auch schon einen Plan, ohne Gedanken daran, dass Gott
dazwischenfunken könnte.
Auch an einer anderen Stelle im Neuen Testament ist von dieser Sache die Rede.
Jakobus wendet sich in seinem Brief an die Reichen (Juden) und ermahnt sie zu geistiger Armut:
Ihr aber, die ihr sagt: Heute oder morgen werden wir in diese oder jene
Stadt reisen, dort werden wir ein Jahr bleiben, Handel treiben und Gewinne machen -, ihr wisst doch nicht, was morgen mit eurem Leben sein wird. Rauch seid ihr, den man
eine Weile sieht; dann verschwindet er. Ihr solltet lieber sagen: Wenn der Herr will, werden wir noch leben und dies oder jenes tun. (Jak. 4, 13. 15).
Das ist es, was die geistliche Armut ausmacht: Dass man offen ist für die
Überraschungen, welche das Leben - welche Gott - für uns bereit hält.
Freilich, wer zurückkehrt zur geistlichen Armut, der kann in dieser Welt nicht die
wirklich grossen Reichtümer sammeln. Die ganz dicken Geschäfte schliessen solche miteinander ab, die bereit sind, dafür ihre Seelen zu verkaufen. Deshalb, wenn es bei Lukas
heisst ‘selig die Armen’ so enthält dies auch die geistliche Armut. Denn ein Mensch ist nicht zufällig arm oder reich; er hat nicht einfach Pech oder
Glück. Der Glaube erkennt, dass alles mit der Regentschaft Gottes, mit dem ‘Reich’ zu tun hat. Man kann nicht Gott und dem Mammon dienen. Der Mensch
ist arm, weil er sich, bewusst oder unbewusst, in bestimmten Momenten für den Himmel entscheidet.
Die Menschen vergessen das manchmal, und sie versuchen Vieles, um ihrer Armut zu
entkommen oder sie hadern deswegen mit ihrem Schicksal. Das Wort Gottes erinnert uns aber immer wieder daran: Du musst nicht meinen, dass Gott dich verlassen hat, nur weil du zu
den Armen gehörst.
Der Versuch, der Armut zu entkommen, bringt oft noch grössere
Probleme mit sich, nämlich dann, wenn man sich auf Dinge einlässt, die man nicht richtig einschätzen kann. Wohlstand ist eigentlich etwas Gutes und Erstrebenswertes. Aber der
Mensch sollte etwas lernen, er sollte ein Gefühl dafür entwickeln, was er wirklich braucht, und mit welchen Schritten er was erreichen kann. An erster Stelle steht für den
Christgläubigen die Suche nach Gott und nach seinem Reich. Alles andere wird dazugegeben, auch die Entscheidungen und die Taten, womit wir unsichtbare und sichtbare Güter
erwerben.
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