Die Versuchung unseres fastenden HErrn in der Wüste, wie sie am 1. Sonntag
Quadragesimä sowohl für die nachfolgende Woche als auch für die ganze Fastenzeit verkündigt wird, soll nicht nur als Beispiel für einzelne Gläubige verstanden werden. Denn nicht
erst nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt werden wir als sein geheimnisvoller Leib verstanden. Im besonderen Werk des Heiligen Geistes sind wir seit unserer Taufe Christo
einverleibt. Er ist unser Haupt und wir alle sind sein Leib, jederzeit, wie vor seiner Fleischwerdung, so auch während seines Erdenwandels im sterblichen Fleisch, und auch
danach, bei seiner Verwandlung, Himmelfahrt und Wiederkunft. Seiner Sohnschaft teilhaftig betrachten wir uns mit ihm sowohl bei seinem Fasten als auch in der Stunde der Prüfung.
Gerade unsere gegenwärtige Trennung von ihm leitet uns an, gemäß seiner Ankündigung zu fasten und zu beten.
Als der Auferstandene in die Himmeln aufgenommen und verborgen wurde, erlebte der
geheimnisvolle Leib Christi, die Kirche, sowohl die Leiden einer Wüstenwanderung als auch die Erbauung des verheißenen Trösters. Wie einst Mose, so leitet uns der Heilige Geist
mit der geistlichen Gegenwart und dem Sinn Christi in der Leere oder der Wüste an, damit das Heiligtum nicht nur an einem einzigen Ort verharre, sondern auf jenem Weg
voranschreite, welcher heimwärts führt, in die Vollendung alles dessen, was uns verheißen worden ist und uns im Glauben und Leben erbaut.
Mit seinem damaligen Gang in die Wüste, als er sich dem Heilswerk widmete, nahm er
uns in seiner Leiblichkeit mit – er fastete für uns, damit auch wir heute mit ihm fasten. Statt zu herrschen, dienen wir, anstatt in unseren einzelnen Altargemeinschaften
an uns zu denken, gedenken wir aller und beten für alle. Da jeder Tag auch die Vollendung bedeutet – also im Es|chaton unseres Seins jederzeit da und gegenwärtig ist
– betrachten wir die drei Anläufe der dämonischen Versuchungen auch eschatologisch. Im leiblichen Leben verspüren wir trotz Erbauung und Trost unseres Glaubens den Hunger
nach jenem Brot, welches uns in der Herrlichkeit des Hochzeitsmahls des Lammes angekündigt ist. Keineswegs sind wir müde geworden oder kraftlos, und doch schwächt uns die
ständige Anfrage aus unserer Umwelt – wo ist den euer Gott?
Nicht wenige von uns Christen versuchen sich in der Beantwortung dieser Frage. Die
Vielheit, aber keineswegs eine Vielfalt solcher Antworten, führte uns Christen in die Spaltungen hinein. Die christlichen Trennungen haben das Bild unseres Glaubens verunstaltet
und im Glauben und Leben allem, was uns heilig ist, einen schweren Schaden zugefügt. Unverdautes und Unausgegorenes kam zu Tage, Meinungen und Vorstellungen, welche mit Gott
nichts zu tun haben. Deshalb sind manche ernstgemeinten Gespräche in der Ökumene gefährdet. Anstatt gegenseitiger Liebe und Achtung, beherrscht uns der Zwist des
Auseinanderhaltens und der Entfremdung. Wir essen nicht gemeinsam das Brot unserer Hoffnung und unseres Glaubens, sondern schlucken die Steine der Gelehrsamkeit und des
Pharisäertums. Nicht geistlich besonnen, sondern weltlich bedacht, wollen wir unseren heiligen Glauben erklären und meinen, wenn wir insbesondere dem sozialen Werk in
karitativen Unternehmungen dienen, nach eigener Ansicht Gutes zu tun, und etwas Göttliches zu leisten. Zweifelsohne besitzen wir keinen brotlosen Glauben – so gehört das
Teilen wesentlich dazu. Aber, der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.
Bereits zum Anbeginn der Christenheit im Neuen Bund zeigte sich, wie wenig die
angesprochenen Zeugen des Werkes Christi sich von jenem Wort, das aus Gottes Mund zu ihnen kam, haben anleiten lassen. Manche nahmen Steine in die Hände und übten, allen ihren
Glaubensregeln zum Trotz, ein nicht angemessenes Strafrecht aus, und so zeichnete das Martyrium die Wiege der Kirche aus. Leichter wäre es gewesen, ihnen nach dem Munde zu
reden. Doch dem Wort, dem Logos des Höchsten treu zu bleiben, war besser. So erbaut uns heute immer noch das Zeugnis der Blutzeugen Jesu – denn sie standen zu dem, was sie
glaubten.
In unserer Kirchengeschichte sind wir aufgestiegen. Die einst Verfolgten wurden zur
Staatsreligion erhoben, und trotz allerlei neuer Trennungen, in weiten Teilen dieser Welt kraft ökumenischer Synoden zum Maßstab des Glaubens und des Lebens. Von diesem hohen
Berg meinten die Abgespaltenen, wie jene, welche die Abspaltung erfuhren, niemals fallen zu können. So hielt in unserer „christlichen Gesellschaft“ nicht nur die
Orthodoxie des Rechtglaubens Einzug, sondern auch die biblisch strengstens untersagte Versklavung der Kinder Gottes untereinander. Der Sklavenhandel ging so weit, dass per
„Konzilsbeschlüsse“ der Ertrag dieses Handels der Kirchenkasse zugeführt wurde. Statt die Zeit zu nützen, um der Welt Vorbild und Trost zu sein, verlief die Zeit
christlicher Vorherrschaft so unehrenhaft, dass uns die Aufklärung und der gesellschaftlicher Umbruch überholten. Obwohl das doppelte Zeugnis der Apostel und der Propheten
unspektakulär und ohne Aufstand von dem erweckt wurde, der es verhindern kann, dass kein Fuß an einen Stein stößt, kamen die vorherigen Bewahrer und Beschützer des
Glaubens zu Fall – die Könige wurden entmachtet und die Priester ihrer Glaubwürdigkeit beraubt. Sie beachteten das Gebot nicht, welches besagt: Du sollst den HErrn,
deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.
Inzwischen ist nicht nur die alte Welt, sondern auch die Weite des Weltalls
bekannter geworden. Ganz einfache Menschen bereisen die Erde und erreichen im Flug Kontinente, die einst unbekannt waren, Vermögende verlassen gar diese Welt und vergnügen sich
beim Ausflug ins Weltall. Der neue Fortschritt überzeugt, und viele Menschen sind vom Glauben abgefallen. Immerhin, statt der Könige, sind wir alle in der Macht aufgestiegen,
und in regelmäßigen Abständen beherrschen wir mit unserer Wählerstimme die Welt. Anstatt dem geistlichen, vertrauen wir doch gerne dem weltlichen Gut. Nun ist die Zeit der
Besinnung und der Umkehr angebrochen – die Zeit der Selbstprüfung. Weder Gott noch sein fleischgewordener Sohn wird für uns dem Dämon gebieten. Am Beispiel Christi wissen
wir, wie wir der vergänglichen Herrschaft Absage erteilen sollen, denn in der Schrift steht: Vor dem HErrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein
dienen.
Die Zeit ist wirklich da, den Engeldienst wahrzunehmen,
welchen der HErr einsetzte, da er die Mitmenschen als Boten seines Reiches und Kommens ausrüstete, damit sie als Engel Gottes dem Leibe Christi dienen. Sich vom Herzen
Gott, unserem Vater zuzuwenden, bedeutet an erster Stelle, die Wüstenwanderung durch Buße und Gebet abzuschließen. Unser Haupt und der Engel des Bundes will uns auf seinen
Schultern nicht mehr in die Wüste zurücktragen, zu den 99 „Gerechten“, sondern in sein Haus, nämlich in die Vollendung hinein. Dazu braucht es nicht viel, nur die
Umkehr, damit der Losspruch greife und unser Engelamt dem Auferstandenen begegne, bereit und fähig, über die Osterzeit hinaus mit ihm zu sein – in Ewigkeit.
Amen.
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