Als Glaubensausübung ist das Fasten nichts neues. Alttestamentlich kennen wir eine
ganze Reihe von Ernährungs- und Opfervorschriften, welche dem Glauben eine äußere Gestalt verleihen. Sie sind jedoch kein Ausdruck dafür, was man glaubt, sondern eine Art und
Weise dessen, wie man glaubt. In der Gottesbegegnung stellt jeder Gläubige immer wieder fest, dass seine Gotteserfahrung im gewissen Sinne immer anders ist, unwiederholbar und
überraschend. In der geistlichen Wirklichkeit wachsen wir, wenn wir Gottes Nähe erfahren. Und jeder Gläubige sehnt sich danach, durch solche Erfahrungen an Erkenntnis zuzunehmen
und im Heiligen Geist zu reifen. Wie aus einem unmündigen Kind jedes menschliche Wesen reift, um schließlich die Reife eines mündigen Erwachsenen zu erfahren, wobei ein solches
Wachstum mit der Volljährigkeit keineswegs zum Abschluss kommt, wird die Reife eines Gläubigen erst in der Erfüllung seines Glaubens vollendet. Das Ereignis der Osternacht ist
ein Ausdruck dafür. Die Jünger Jesu begegneten nicht einem geistlich oder seelisch vom Tod befreiten, sondern einem leiblich Auferstandenen.
Da sich jeder Mensch vor dem Tod fürchtet, könnte man meinen, dass uns Christen der
Tag der Auferstehung Christi die Todesängste und leibliche Sorgen raubt. Denn augenscheinlich besiegte Jesus durch sein Sterben am Kreuz den Tod und als Erstling der
Entschlafenen oder als erster Sterbliche erreichte er die Unsterblichkeit, sowohl leiblich, als auch seelisch und geistlich. Die Erscheinung des Auferstandenen war mehr als eine
Schau des Todesüberwinders. Zwar todes-, leidens- und krankheitsunfähig, setzte Jesus jenes Werk fort, das er noch im sterblichen Leib ansetzte – das Werk eines Neuen
Bundes. Der Auferstandene handelte an seinen Jüngern, er belehrte und speiste sie, wie er auch selber aus ihrer Hand die Speisen nahm. Wie einst die aus der Sklavenschaft unter
den Ägyptern Befreiten in der Wüste aus der Hand Gottes mit Manna und Fleisch ernährt und am Leben erhalten wurden, reichte der Auferstandene seinen Jüngern sowohl die
geistliche Nahrung der Unterweisung als auch die Mahlzeit an einem Morgen. Darüber hinaus ließ er sich Speise und Trank vorsetzen, obwohl er nunmehr seinen Jüngern als ein
leibliches, unsterbliches Wesen begegnete. Nicht um am Leben erhalten zu werden, sondern um in der Gemeinschaft mit ihnen zu sein, kostete er die Speisen der Sterblichen.
Folglich ist das Fasten dieser Tage kein Ausdruck unseres vollendeten Glaubens.
Ebenso wissen wir, dass das Fasten alttestamentlich ein Hilfsmittel des Gebets ist.
Um die Herzensanliegen vor Gottes Ohr und Antlitz zu bekräftigen, enthielten sich die Hebräer und verzichteten beim Fasten auch auf die gesetzlich erlaubten Speisen. Selbst die
Juden heute halten Tage und Zeiten des Fastens ein. Deshalb richteten sie den Vorwurf an Jesus und seine Jünger – dieselben würden nicht fasten. Die Antwort Christi ist
dabei wirklich bemerkenswert: Da die Jünger des Johannes und die Pharisäer zu fasten pflegten, kamen Leute zu Jesus und sagten: Warum fasten deine Jünger nicht, während die
Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer fasten? Jesus antwortete ihnen: Können denn die Hochzeitsgäste fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Solange der
Bräutigam bei ihnen ist, können sie nicht fasten. Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein; an jenem Tag werden sie fasten. Niemand näht ein
Stück neuen Stoff auf ein altes Kleid; denn der neue Stoff reißt doch vom alten Kleid ab, und es entsteht ein noch größerer Riss. Auch füllt niemand neuen Wein in alte
Schläuche. Sonst zerreißt der Wein die Schläuche; der Wein ist verloren, und die Schläuche sind unbrauchbar. Neuer Wein gehört in neue Schläuche. (Mk. 2,
18-22)
Das Fasten in der vorösterlichen Fastenzeit stellt somit an erster Stelle eine
Erfüllung der Wortes Christi dar. Alles, was er verhieß, soll in Erscheinung treten, wie die Zeit der Vollendung, so auch jene des Fastens und des Gebets. Obwohl das Fasten
eines Christen nach der Weisung Jesu dem Schatten der Abgeschiedenheit des Stillen Kämmerleins vorbehalten ist, und dies nicht nur in der Quadragesimä, rufen wir alljährlich die
vorösterliche Heilige Zeit aus, die große Fastenzeit unseres Glaubens. Dieselbe ist ja angekündigt und gilt so lange, bis der Bräutigam zurückkehrt, um mit uns, mit seiner
Braut, die Hochzeit zu halten. Unsere Feier der Ostertage kann man ohne weiteres anders nennen – die Hochzeit des Lammes. Während der ganzen Osterzeit des
Kirchenjahres werden wir an die Gemeinschaft des Auferstandenen mit den noch Sterblichen erinnert, um auch an einem weiteren 40. Tag dieselbe mit einer Verheißung zu beschließen
– dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen. (Apg. 1,
11)
Wir glauben fest daran, dass der Hochzeitstag den Bräutigam mit der Braut eint und
fest bindet. Ab diesem Tag sind es nicht mehr zwei, sondern ein gleiches und vereinigtes Wesen, seelisch, geistlich und leiblich. So erwarten wir den Tag, wenn wir unserem
Bräutigam einverleibt werden – als Auferstandene und Unsterbliche. Dabei stärkt uns nicht die Todesüberwindung, sondern wie bei allen Verliebten, die Liebeserfüllung,
nämlich mit dem Geliebten für immer eins zu sein, froh und glücklich. Und schließlich hat er auch das Hochzeitsmahl des Neuen Bundes so angelegt, bis er das Mahl mit uns erneut
halten und von der Frucht des Weinstocks im Reich Gottes kosten werde. Angetrieben zu diesem Hochzeitsmahl des Lammes, wo unsere sterblichen Leiber nicht dem alten Tuch gleich
geflickt, sondern wie neue Kleider in einer Neuschöpfung erneuert werden, kosten wir eucharistisch bereits jetzt und heute den neuen Wein im Blut eines neuen und ewigen Bundes.
Dabei denken wir weniger an das Opferblut, welches im Bundesopfer vergossen wurde, sondern an das Blut der Vollendung unseres Heils – sakramental soll es als
Blutsverwandtschaft verstanden werden. In jeder Feier der Heiligen Eucharistie gedenken wir des Todes Jesu und des Blutes des Gerechten, welches lauter schreit als das Blut
Abels. Dabei bedenken wir, dass der Sterbliche aus Liebe zu uns Gott treu war, bis in den Tod. Im Gegensatz zu einer Ehe, welche mit dem Tod endet, begann unsere Liebesverlobung
in der Todesüberwindung.
Nun dauert diese Verlobungszeit an, zu welcher wir uns einer
Braut gleich bereiten. Besonders vor dem Hochfest der Auferstehung Christi wird unsere Vorbereitung konkreter. Anstatt Fasten nach Vorschrift, gilt: Fasten nach Bedarf. So wird
jeder von uns für sich ganz persönlich festlegen, was seine Erneuerung bedarf. Aus der Gewissensprüfung und Sündenvergebung soll auch dieses Jahr am Ostertag jeder von uns
erneuert vor Gott erscheinen, vom sterblichen Tod unserer Unvollkommenheit erweckt wie der Auferstandene – als Todesüberwinder, welche die dämonische Versuchung
überstanden und der Sünde abgeschworen haben. Daher ist uns diese Zeit heilig, weil sie uns zu jener Heiligkeit erzieht, welche wir im Glaubensbekenntnis bekennen – wir
glauben an die Gemeinschaft der Heiligen und an das ewige Leben. Amen.
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